Dienstag, 19. April 2016

Belnend in Trümmern und Schweigen

Beim blitzartigen Einfall in Belnend war nicht ein Tropfen Blut geflossen. Die Stadt lag in Asche und Trümmern und es fiel schwer zu glauben, dass der Süden angesichts dieses Anblicks tatsächlich verbreiten ließ, er habe den Krieg gewonnen. Den Aufmarsch des Nordheers quittierte die Stadt mit Schweigen. Bewohner und auch Rotröcke räumten die öffentlichen Plätze und verschanzten sich in den Ruinen, die einst ihre Häuser gewesen waren. Es gab nicht viel zu plündern und auch der Kommandant ließ sich nicht blicken. Lovis nahm einige Pflanzen mit sich, von denen sie sich erhoffte damit Wolle in rot und blau färben zu können. Außerdem gefiel ihr ein Vorhang, der noch fast unbeschädigt war, auch diesen packte sie in ihren Beutel.

Das Nordheer sammelt sich in der Halle von Fensalir

  
Jarl Aegir, seine Frau Saria, zwei Bonds

bewaffnet und bereit

Stadttor von Belnend



Samstag, 16. April 2016

Dolch und Bogen

Das neue Leben in Fensalir wurde mehr und mehr das ihre. Mit jedem Tag, jedem weichen Fell und jedem alten Möbelstück, das sie für ihre Hütte ergattern konnte, fühlte sich Lovis mehr zuhause als zuvor. Viele Ahn und Abende am Feuer mit den anderen, ganz gleich ob drinnen in der Hall oder draußen bei mildem Wetter, gaben ihr das Gefühl angekommen zu sein. Am Morgen weckte sie nicht die Sonne, sondern die lauten Geräusche aus Sigurds Schmiede, die sie fast lieber hörte als den Gesang der Vögel. Auch wenn sie sich manchmal stritten, sie schaffte es einfach nicht ihm lange böse zu sein.

Ums Feuer versammelt


Ob es nun Saria oder Finn, der Dorfälteste gewesen war, der ihr aufgetragen hatte, sich einen Dolch und einen Bogen zu besorgen, wusste Lovis nicht mehr genau. Aber der Umstand, dass man von den Frauen in Fensalir Waffentüchtigkeit erwartete, kam überraschend über sie. Sie hatte bisher weder einen Bogen in der Hand gehabt, noch je einen Pfeil abgeschossen.

Finn und sein Weib, Gaia


Angesichts der Lebensumstände im Norden erschien ihr die Forderung schlüssig zu sein. Zogen die Männer aus um zu rauben und zu plündern oder um Handel zu treiben, mussten die Frauen die Verteidigung des Dorfes übernehmen.

Die Bogenmacherin, die von den meisten nur "die Füchsin" genannt wurde wegen ihres roten Haars und ihrer Gerissenheit, ließ sich schließlich auf einen Handel ein. Ein Bogen für Lovis gegen eine große, farbenfrohe Decke für ihr Bett. Sigurd hatte versprochen neben dem Webstuhl auch einen kleinen Dolch zu fertigen. Er hatte nichts als Gegenleistung gefordert, aber Lovis hatte schon beschlossen sich ihm gegenüber erkenntlich zu zeigen.



Auch aus diesem Grunde war sie allein im Wald gewesen und hatte die Umgebung rund ums Dorf erkundet und Rinde, Blätter, Blüten, Stängel und Wurzeln vieler Pflanzen, Sträucher und Bäume auf enthaltene Farben getestet, mit denen sich Wolle einfärben ließ. Einiges hatte sie auch gefunden, lediglich die Farben rot und blau stellten sie vor ein bisher nicht lösbar scheinendes Problem. Indigo, das wusste Lovis noch aus ihrem alten Leben, wuchs so weit im Norden nicht und war ein kostbares Handelsgut. Färberwaid mochte zwar hier gedeihen, aber gefunden hatte sie bisher nichts davon.



Eines Abends am Feuer hatte sich Saria in die Runde gesellt und verkündet, dass Jarl Aegir einen erneuten Schlag gegen Belnend verüben wollte, als Antwort auf die Gerüchte, dass die Stadt jedem willigen Ohr verkündete, sie habe die Schlacht gegen die Streitkräfte des Nordens gewonnen. Sigurd hatte sofort leuchtende Augen bekommen und Lovis war klar, dass sie ihn nicht davon abhalten konnte mit gegen Belnend zu ziehen. Er würde bald seinen Schwur gegenüber dem Jarl leisten und sich so an den Clan der Feuerbringer binden. Und er brannte darauf sich und sein Schwert für seinen Clan einzusetzen. Es wurde auch erwartet, dass ein Mann fähig und willig war zu kämpfen und zu rauben. Lovis würde also zurückbleiben und wie Niara seinerzeit nichts anderes übrig bleiben als zu warten und zu beten, dass die Götter ihn wohlbehalten zurückbringen würden, wenn sich nicht...

... wenn sich nicht die Gelegenheit ergäbe, mit nach Belnend zu gehen. Die Gelegenheit ergab sich noch am gleiche Abend. Es war Finn, der sie aufforderte sich einen Bogen zu leihen und mitzuziehen. Denn Lovis hatte noch keine Kinder zu versorgen und keinen Acker zu bestellen. Im Dorf war sie abkömmlich und im Kampf zählte jeder Bogen und jeder Dolch.

Den Weg nach Hause war sie hin- und hergerissen zwischen Furcht und Erleichterung. Nun würde sie nicht im Dorf ausharren müssen, aber unter Umständen ihr Leben im Kampf lassen, denn sie war unerfahren und unerfahren war noch untertrieben. Trotzdem kam der Schlaf in dieser Nacht rasch und tief über sie und als sie am Morgen erwachte spürte sie neben der Aufregung eine tiefe Zufriedenheit.


Sonntag, 10. April 2016

Zimmerkontrolle am frühen Morgen und eine rote Überraschung

Lovis fuhr schlaftrunken nach oben, als es an ihrer Tür donnerte.

"Wer auch immer da drin ist, öffnet.", erklang eine energische Stimme, die sie nicht gleich zuordnen konnte. Lovis schob das Fell beiseite, das sie gewärmt hatte in der Nacht und rutschte vor bis zur Bettkante, kam von dort aus vorsichtig auf die Füße und tapste zur Tür um sie zu öffnen.
Das Zimmer für sich allein zu haben, war mit der Annehmlichkeit verbunden nicht mehr auf der Holzbank am Feuer schlafen zu müssen und entsprechend tief war ihr Schlaf gewesen bis eben. Vor der Tür stand Saria, die Frau des Jarls. Ihre Augen blitzten und Lovis konnte kaum fassen, wie man um diese Tageszeit derart energiegeladen sein konnte.
Natürlich bat sie Saria herein, die sofort anfing sich im Zimmer umzusehen als würde sie etwas oder jemanden darin suchen. Lovis strich sich mit den Händen die zersausten Haare glatt und gähnte verstohlen. "Also ich habe kein Ungeziefer bemerkt bis jetzt. Man hört auch in der Nacht nichts rascheln oder so." erklärte sie der Suchenden. Dass die Frau des Jarls nach einem Mann namens Sigurd suchte und so eine Art sittliche Zimmerkontrolle darstellte, das hatte Lovis gar nicht begriffen in ihrer unbedarften Art.

Saria grinste. "Nein, es scheint alles in Ordnung zu sein. Kein Ungeziefer. Kein Krieger in deinem Bett. Wir hatten noch gar nicht die Gelegenheit uns miteinander zu unterhalten, obwohl ich schon viel von dir gehört habe." 
Hoffentlich nichts Schlechtes! schoss es Lovis durch den Kopf und diese mysteriöse Sache mit dem "auf den Berg zwingen" trat wieder in ihr Bewusstsein, da erklang auch schon:
"Wir haben uns viele Gedanken gemacht über dich und haben etwas für dich vorbereitet, du kommst also jetzt mit." Lovis legte rasch einen Scheit Feuer auf die Glut um etwas Zeit zu gewinnen. Was würde nun passieren? Würde man nun doch nicht nachsichtig sein, weil Sigurd und sie ein Zimmer geteilt hatten? War sie nun vor der einen Gefährtenschaft davongelaufen um in die nächste zu stolpern? Oder wartete gar ein Kragen auf sie? Lovis schluckte den immer dicker werden Kloß in ihrem Hals herunter und folgte der tatkräftigen Jarlsfrau zur Tür und bis in die Halle. Deren Grinsen konnte viele Bedeutungen haben und Lovis blieb schließlich vor der Halle kurz stehen und vergewisserte sich vorsichtig "Du bringst mich aber jetzt nicht auf den Berg oder?"
Saria blieb stehen und ihr Grinsen wurde noch breiter.
"Du kannst weben und das ist uns willkommen. Aber für einen Webrahmen brauchst du Platz und deshalb haben wir dir eine Hütte zugewiesen, unten am Dorfeingang. Es versteht sich von selbst, Weib, dass in dieser Hütte kein Mann zugegeben sein wird, solange du darin wohnst und keinen Gefährten dein eigen nennst." 
Lovis starrte sie ungläubig an. "Ich bekomme ein Haus? Für mich allein?"
Saria neigte den Kopf. "Es ist klein und bescheiden, aber für ein alleinstehendes Weib sehr komfortabel. Wir werden es schon gemütlich machen". 
Auf Lovis Gesicht zeigte sich nun überbordende Freude: "Das ist sehr großzügig. Ich freue mich und danke deinem Mann und dir." Als hinter ihnen erneut die Tür der Hall ging, platze sie vor Sigurd sofort mit der Neuigkeit raus: "Ich bekomme ein kleines Haus, Sigurd."



Der brummte und zeigte ein schiefes Grinsen. Sigurd war kein Mann, von dem man große Emotionen erwarten konnte, abgesehen von Wut dann und wann, das hatte Lovis schon festgestellt. Zu dritt zogen sie nun Richtung Dorfeingang, denn Sigurd würde die Schmiede übernehmen und die war nicht weit von der besagten Hütte entfernt, in der nun der Webstuhl aufgebaut werden konnte.
Unten am Dorfplatz inmitten der Marktstände war ihre kleine Wanderung jedoch erstmal beendet. Hier stand Finn, der Älteste des Dorfs und Vater des Jarls und sprach mit jemandem, der für Lovis noch von einem Markstand verdeckte wurde und doch die eben noch fröhlich ausgelassene Stimmung zum Kippen brachte. Sigurd schob sich vor die beiden Frauen  und Saria erstarrte förmlich in der Bewegung.



Der Mann, mit dem der Älteste sprach, trug eine rote Tunika und Waffen aus gutem Stahl.
Er war ein Krieger aus dem Süden.





Heimkehr der Krieger

Noch immer teilte Lovis eine Kammer mit Sigurd. Es war ihr nicht so unangenehm, wie sie anfangs angenommen hatte. Sigurd erwies sich erneut als vertrauenswürdig und verbrachte die Nächte meist draußen auf Wache und schlief tagsüber um sie nicht in Bedrängnis zu bringen. Trotzdem stellte er nach wie vor ihre Geschichte in Frage und hatte damit begonnen ihre Fähigkeiten auf die Probe zu stellen.

Eines Morgens trug er eine erlegtes Tarsk in die Halle. Einen mächtigen Eber mit furchteinflößenden Hauern und einem riesigen Maul, aus dem noch Blut sickerte. Blut sickerte auch aus einem Riss in seiner Hose, denn der Eber hatte sein Leben zu verteidigen versucht. Jetzt galt es, den Kadaver zu zerlegen und nichts zu verschwenden.  Niara machte sich sofort an die Arbeit, für sie war das keine unbekannte Aufgabe, aber als Sigurd Lovis sein Messer reichte, wusste sie nicht wirklich was zu tun war damit. Und als dann Niara noch die Gedärme des Tiers in einen Eimer klatschen ließ, war jede Klarheit in Lovis' Kopf völlig dahin. Trotzdem machte sie sich daran, dem Tier den mächtigen Kopf abzutrennen. Als wäre das nicht genug, dass sie über und über mit Blut besudelt war, verlangte Sigurd nun noch, dass sie den Darm wusch, damit später Würste gemacht werden konnten. Das herausfordernde Grinsen in seinem Gesicht fühlte sich noch demütigender an als die Aufgabe selbst.

Lovis packte sich den Eimer und schlug die Tür so fest zu, dass die Holzstreben der Halle vibrierten. Draußen sog sie die frische Luft in ihre Lungen und stapfte zornig zum Fluss. Sie konnte nicht zurück, selbst wenn sie es gewollt hätte. Und sie konnte es sich nicht leisten jemanden zu verärgern, der ihr immerhin bisher Schutz gewährt hatte. Also kippte sie den blutigen, stinkenden Haufen in das glasklare Wasser des Baches und sah einen Augenblick verwirrt zu, wie er abgetrieben wurde von der Strömung, bevor sie ins Wasser hüpfte um das Schlimmste zu verhindern.

Als sie schließlich mit dem gewaschenen Darm zurück in die Halle kam, war sie bis zu den Hüften nass und durchgefroren, aber immer noch blutbesprenkelt im Gesicht und an den Armen. Den Vorschlag draußen kurz zu baden und sich dann umzuziehen, lehnte sie zähneknirschend ab. Sie hatte nichts zum Umziehen und sie würde so bald nicht nochmal in das kalte Wasser steigen. In dieser Nacht lag sie wach und kochte vor Wut. Am liebsten hätte sie Sigurd den Haufen Darm auf sein Bett gelegt als kleine Überraschung oder ihn besser gleich damit erdrosselt.



Dazu kam es jedoch nicht. Sie bezwang ihren Zorn und am nächsten Morgen war die Halle gefüllt mit Leben. Frauen, Kinder, Sklavinnen. Die Krieger waren zurück und mit ihnen der Jarl. Er stand an einen Pfeiler gelehnt und trug ein Kind auf dem Arm, weswegen sie ihn nicht gleich als Jarl erkannte. Er nahm das gelassener auf als Lovis und gewährte ihr weiterhin die Gastfreundschaft von Fensalir. Sie musste nicht einmal ihre Geschichte erzählen, denn es dauerte nicht lange und Sigurd betrat die Halle. Mit ihm wechselte der Jarl viele Worte und Lovis ließ sich erleichtert auf einer Bank nieder und verließ diese nur um den Männern Ale zu bringen.

Auch Niaras Mann war zurück. Allerdings steckte noch ein Stück Pfeil in seiner Brust und der musste herausgeschnitten werden von Gaia, der Heilkundigen des Dorfes. Niara war erneut verurteilt zum Warten und ihre Laune war übel. Dies rief einiges Unverständnis bei den Anwesenden hervor, denn die Rückkehr ihres Mannes sollte doch eigentlich Grund zur Freude sein. Niaras Laune und der Trubel in der Halle wurden Lovis schließlich zu viel und sie schlich sich davon zum Gehege der Verrs. Die Kälte des Winters schwand allmählich und es war Zeit den Tieren die Wolle zu nehmen und sie zu verarbeiten. Mit Wolle, Garnen und dem Weben kannte sich Lovis aus. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung gewesen im Haus ihrer Eltern. Wie man die Wolle jedoch von den Verrs herunter bekam, das war neu für sie, anstrengend und mühsam. Aber immer noch besser als das stinkende Gedärm eines Tarsk in eiskaltem Wasser auszupülen oder Köpfe von toten Tieren abzutrennen.
 



Mittwoch, 6. April 2016

Ankunft in Fensalir

Durch die Kälte und die schier endlos scheinende Wildnis um sich herum, hatte Lovis auf ihrer Wanderung jegliches Zeitgefühl verloren. Es schien ein anderes Leben gewesen zu sein, als sie sich aus Helmutsport davon gestohlen hatte, eine Nacht vor der Gefährtenschaftsfeier. Ihrer eigenen Gefährtenschaftsfeier.
 
 Ohne Verschleierung und im einfachen Wollkleid einer Nordfrau war sie als Lovis aus dem Tor spaziert und nicht mehr zurückgekehrt. Cecilia musste zu Lovis werden und auf der Reise standen ihr die ersten Lektionen bevor. Schmerzhafte, furchteinflössende Lektionen und bei einigen von ihnen wäre sie fast gestorben.  Auf dem letzten Drittel der Wanderung hatte sie gelernt auf einem Baum zu schlafen, bäuchlings auf einem starken Ast und in Sicherheit vor den nachts umherstreifenden Tieren. Sie erwachte morgens wenig erholt, steif vor Kälte,  mit schmerzenden Rippen und mit dem Abdruck der Rinde in ihrem Gesicht, aber sie lebte.
 
Sie hatte die Straßen vermieden, die ohnehin irgendwann zu schmalen Pfaden wurden. Und auch anderen Menschen war sie aus dem Weg gegangen. Bis sie nach Fensalir gelangt war, wo das Ende ihrer Vorräte auch das Ende ihrer Wanderung Richtung Norden markiert hatte.
 
Alles was sie vom Norden wusste, hatte sie sich mühsam angeeignet und nun stand sie am Rand des Dorfes und zögerte es zu betreten. Dann war der Norden zu ihr gekommen in Form von Sigurd, rothaarig und Schultern so breit wie ein Bosk. Er gehörte zwar nicht zum Dorf, erklärte sich aber bereit herauszufinden, ob man bereit war ihnen Gastfreunschaft zu gewähren. Ihm und Lovis. Und dafür wollte er nichts von ihr, gleichwohl sie ihm ihre goldene Kette angeboten hatte, die ihren letzten nennenswerten Besitz darstellte.
 
Die erste Nacht hatten sie inmitten des Dorfes draußen am Feuer verbracht und wurden am nächsten Tag vom Elder des Dorfes in der Longhall untergebracht. Als Gäste. Der Elder und die Weiber waren die einzigen Bewohner des Dorfs. Alle Männer waren fort. In einem Krieg mit dem Süden.
 
Sigurd aus Scagnar und Lovis hatte nichts gewusst von diesem Krieg, aber er stellte Lovis vor ein Problem. Was würden die Nordleute tun, wenn ihre Geschichte unglaubwürdig klang? Würde man sie zurückschicken oder gar als Geisel verwenden um eigenen Gefangene freizupressen? Würde man sie in den Süden zurückhandeln? All diese Möglichkeiten wollte sie vermeiden.
 
 
 
Sigurd war der erste, der sie nach ihrer Herkunft fragte. Sie saßen am Feuer mit Niara, die ihre Kind auf den Armen hielt und Lovis erzählte ihre Geschichte. Der Ort, aus dem sie angeblich stammte, den hatte sie ermittelt, indem sie einen Knopf auf eine Karte des Torvaldslandes geworfen hatte. Sie kannte ihn nicht wirklich. Dies und ihre wachsende Aufregung führten dazu, dass sie sich in Widersprüche verstrickte, die weder Sigurd noch Niara verborgen blieben. Der Jarl, so drohte er ihr unverhohlen, würde schon seinen Weg finden mit einer Lügnerin zu verfahren.
 
Noch war der Jarl im Krieg. Lovis schlief unruhig. Zwischen Sigurd und ihr stand nichts weiter als ein hölzerner Wandschirm. Viel schlimmer aber war, dass sie Angst hatte, Niara und er würden sie auffliegen lassen. Wie ehrlich konnte und sollte sie sein? Warum spielte ihre Vergangenheit überhaupt eine Rolle in einem Leben, das sie neu beginnen wollte?
 
Tagsüber machte sie sich nützlich in der Hall und Dorf. Sie wusch Wolle von den Verrs, versponn sie zu Garn, kochte und leisteste Niara und Gaia Gesellschaft. Taten, das hatte Gaia beim Kennenlernen gesagt, Taten zählten mehr als Worte. Lovis hoffte, dass das der Jarl auch so sehen würde.
 
Fensalir lag in einer bergigen Gegend und der Boden war überwiegend felsig und wenig fruchtbar. Auf ihren Erkundungsgängen durch das Dorf hatte Lovis nur einen einzigen Acker gefunden und kaum Wiesen. Sie hatte gewusst, dass das Leben im Torvaldsland die Menschen dort vor besondere Herausforderungen stellte und dass Handel und auch das Plündern oft der Weg der Nordleute waren, an andere Waren zu kommen. Aber das Land selbst zu sehen, war etwas anderes. Die Kälte selbst zu spüren, war etwas anderes. Es gab keinen Waschzuber in der Hall und das Wasser von Bach und Wasserfall war so kalt, dass Lovis meinte ihr Innerstes würde sofort zu Eis, wenn sie dort ganz hinein steigen würde für ein gründliches Bad.
 
Ihr letztes Bad hatte sie in Helmutsport genossen. Dabei war ihr die Stadt schon ärmlich und primitiv erschienen im Vergleich zu ihrem Heimstein. Und dennoch. Die Chance der Gefährtenschaft zu entgegen, unerkannt und ohne Schleier ein einfaches Leben führen zu können, die hatte jede Unbequemlichkeit überwogen. So stand sie nun hier, einen Eimer in der Hand und zu ihren Füßen der Bach. Er war so klar, dass man jeden Kieselstein auf seinem Grund erkennen konnte und doch durch seine Kälte so abweisend, dass Lovis nur rasch ihren Eimer füllen und zurück in die Küche eilen wollte. Heimweh hatte sie keines. Denn ihr Heim hatte sie so oder so verloren, als ihr Vater sie nach Helmutsport gebracht hatte um sie dort bei diesem Mann zu lassen. Die Vergangenheit war vorüber, was zählte waren das Jetzt und das Morgen.