Mittwoch, 6. April 2016

Ankunft in Fensalir

Durch die Kälte und die schier endlos scheinende Wildnis um sich herum, hatte Lovis auf ihrer Wanderung jegliches Zeitgefühl verloren. Es schien ein anderes Leben gewesen zu sein, als sie sich aus Helmutsport davon gestohlen hatte, eine Nacht vor der Gefährtenschaftsfeier. Ihrer eigenen Gefährtenschaftsfeier.
 
 Ohne Verschleierung und im einfachen Wollkleid einer Nordfrau war sie als Lovis aus dem Tor spaziert und nicht mehr zurückgekehrt. Cecilia musste zu Lovis werden und auf der Reise standen ihr die ersten Lektionen bevor. Schmerzhafte, furchteinflössende Lektionen und bei einigen von ihnen wäre sie fast gestorben.  Auf dem letzten Drittel der Wanderung hatte sie gelernt auf einem Baum zu schlafen, bäuchlings auf einem starken Ast und in Sicherheit vor den nachts umherstreifenden Tieren. Sie erwachte morgens wenig erholt, steif vor Kälte,  mit schmerzenden Rippen und mit dem Abdruck der Rinde in ihrem Gesicht, aber sie lebte.
 
Sie hatte die Straßen vermieden, die ohnehin irgendwann zu schmalen Pfaden wurden. Und auch anderen Menschen war sie aus dem Weg gegangen. Bis sie nach Fensalir gelangt war, wo das Ende ihrer Vorräte auch das Ende ihrer Wanderung Richtung Norden markiert hatte.
 
Alles was sie vom Norden wusste, hatte sie sich mühsam angeeignet und nun stand sie am Rand des Dorfes und zögerte es zu betreten. Dann war der Norden zu ihr gekommen in Form von Sigurd, rothaarig und Schultern so breit wie ein Bosk. Er gehörte zwar nicht zum Dorf, erklärte sich aber bereit herauszufinden, ob man bereit war ihnen Gastfreunschaft zu gewähren. Ihm und Lovis. Und dafür wollte er nichts von ihr, gleichwohl sie ihm ihre goldene Kette angeboten hatte, die ihren letzten nennenswerten Besitz darstellte.
 
Die erste Nacht hatten sie inmitten des Dorfes draußen am Feuer verbracht und wurden am nächsten Tag vom Elder des Dorfes in der Longhall untergebracht. Als Gäste. Der Elder und die Weiber waren die einzigen Bewohner des Dorfs. Alle Männer waren fort. In einem Krieg mit dem Süden.
 
Sigurd aus Scagnar und Lovis hatte nichts gewusst von diesem Krieg, aber er stellte Lovis vor ein Problem. Was würden die Nordleute tun, wenn ihre Geschichte unglaubwürdig klang? Würde man sie zurückschicken oder gar als Geisel verwenden um eigenen Gefangene freizupressen? Würde man sie in den Süden zurückhandeln? All diese Möglichkeiten wollte sie vermeiden.
 
 
 
Sigurd war der erste, der sie nach ihrer Herkunft fragte. Sie saßen am Feuer mit Niara, die ihre Kind auf den Armen hielt und Lovis erzählte ihre Geschichte. Der Ort, aus dem sie angeblich stammte, den hatte sie ermittelt, indem sie einen Knopf auf eine Karte des Torvaldslandes geworfen hatte. Sie kannte ihn nicht wirklich. Dies und ihre wachsende Aufregung führten dazu, dass sie sich in Widersprüche verstrickte, die weder Sigurd noch Niara verborgen blieben. Der Jarl, so drohte er ihr unverhohlen, würde schon seinen Weg finden mit einer Lügnerin zu verfahren.
 
Noch war der Jarl im Krieg. Lovis schlief unruhig. Zwischen Sigurd und ihr stand nichts weiter als ein hölzerner Wandschirm. Viel schlimmer aber war, dass sie Angst hatte, Niara und er würden sie auffliegen lassen. Wie ehrlich konnte und sollte sie sein? Warum spielte ihre Vergangenheit überhaupt eine Rolle in einem Leben, das sie neu beginnen wollte?
 
Tagsüber machte sie sich nützlich in der Hall und Dorf. Sie wusch Wolle von den Verrs, versponn sie zu Garn, kochte und leisteste Niara und Gaia Gesellschaft. Taten, das hatte Gaia beim Kennenlernen gesagt, Taten zählten mehr als Worte. Lovis hoffte, dass das der Jarl auch so sehen würde.
 
Fensalir lag in einer bergigen Gegend und der Boden war überwiegend felsig und wenig fruchtbar. Auf ihren Erkundungsgängen durch das Dorf hatte Lovis nur einen einzigen Acker gefunden und kaum Wiesen. Sie hatte gewusst, dass das Leben im Torvaldsland die Menschen dort vor besondere Herausforderungen stellte und dass Handel und auch das Plündern oft der Weg der Nordleute waren, an andere Waren zu kommen. Aber das Land selbst zu sehen, war etwas anderes. Die Kälte selbst zu spüren, war etwas anderes. Es gab keinen Waschzuber in der Hall und das Wasser von Bach und Wasserfall war so kalt, dass Lovis meinte ihr Innerstes würde sofort zu Eis, wenn sie dort ganz hinein steigen würde für ein gründliches Bad.
 
Ihr letztes Bad hatte sie in Helmutsport genossen. Dabei war ihr die Stadt schon ärmlich und primitiv erschienen im Vergleich zu ihrem Heimstein. Und dennoch. Die Chance der Gefährtenschaft zu entgegen, unerkannt und ohne Schleier ein einfaches Leben führen zu können, die hatte jede Unbequemlichkeit überwogen. So stand sie nun hier, einen Eimer in der Hand und zu ihren Füßen der Bach. Er war so klar, dass man jeden Kieselstein auf seinem Grund erkennen konnte und doch durch seine Kälte so abweisend, dass Lovis nur rasch ihren Eimer füllen und zurück in die Küche eilen wollte. Heimweh hatte sie keines. Denn ihr Heim hatte sie so oder so verloren, als ihr Vater sie nach Helmutsport gebracht hatte um sie dort bei diesem Mann zu lassen. Die Vergangenheit war vorüber, was zählte waren das Jetzt und das Morgen.
 
 
 
 
 
 
 

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